Das sechste Ehinger Wirtschaftsforum verzeichnete rund 50 Besucher. BED-Geschäftsführer Michael Gaßner im Gespräch mit Ingmar Hoerr und Matthias Schwab (von rechts). © Foto: Foto: Emmenlauer
Vision von medizinischer Revolution
Körpereigene Eiweiße gegen Krebs und gegen Viruserkrankungen: Beim sechsten Ehinger Wirtschaftsforum spricht Ingmar Hoerr von der CureVac AG aus Tübingen über neue Ansätze in der Therapie.
Ich glaube, die Vision ist absolut richtig“, befand Prof. Matthias Schwab, der Direktor des Dr.-Margarete-Fischer-Bosch-Instituts für klinische Pharmakologie am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus am Donnerstagabend im Ehinger Businesspark (BED). Die Vision: Den Menschen mit körpereigenen Eiweißen von Krebs und Viruserkrankungen zu heilen. Der Vater der Vision: Dr. Ingmar Hoerr, Vorsitzender des Aufsichtsrats und Mitbegründer der CureVac AG in Tübingen. Hoerr war Redner des sechsten Ehinger Wirtschaftsforums, er sprach über „Neue Ansätze in der Therapie: Zeige dem Körper den Weg zur Heilung auf. Die Sprache des Körpers sprechen lernen. Ein naturwissenschaftlicher Ansatz.“ „Die medizinische Revolution, die kommt“, sagte Hoerr vor rund 50 Zuhörern. Chemische Moleküle, aus denen heute Medikamente hergestellt werden, seien nicht die Zukunft. Im Jahr 2000 hatte Hoerr die CureVac in Tübingen mitbegründet, in den Anfangsjahren waren die Mittel knapp. Heute hat die Gesellschaft 460 Mitarbeiter in Tübingen, Frankfurt und Boston und konnte 500 Millionen Euro Kapital von SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp, der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und weiteren Investoren gewinnen.
Netzwerke und Investoren
Hoerr sei ein sogenanntes Einhorn, hatte Ehingens Oberbürgermeister Alexander Baumann in seiner Begrüßung festgestellt. Als Einhorn wird ein Start-up bezeichnet, das beim Börsengang mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet wird. Hoerr ging in seinem Vortrag zunächst auf den Begriff der Disruptiven Technologie ein. Gemeint sind damit Erfindungen, die bereits Bestehendes vom Markt verdrängen oder dieses (besser) fortführen, etwa der Wandel von der Dampflokomotive zur elektrischen Lok oder die Automobilindustrie, die sich nun an der E-Mobilität versuche. „Die Disruptive Innovation ist wichtig“, sagte „Es wird nie ohne klinische Studien gehen.“ Prof. Matthias Schwab Robert-Bosch-Krankenhaus
Hoerr, für Europa sei das der absolut notwendige Weg. Das Bilden von Netzwerken sei wichtig, wie die USA zeigten, auch große Investoren, die etwa in die Biotechnologie investierten. Die Lebenserwartung der Menschen sei in den vergangenen 100 Jahren sprunghaft gestiegen, sagte Hoerr. Um 1900 lag die Lebenserwartung in Indien etwa bei 20 Jahren, heute seien es 65 Jahre. Ein ganz wesentlicher Aspekt dafür seien die Impfstoffe, aber auch Hygiene und Bildung. „Trotzdem sind wir häufig noch in der Steinzeit bei Therapiemöglichkeiten“, sagte Hoerr. Die Basis von Medikamenten bildeten chemische Moleküle. Um ein Medikament zu entwickeln, benötige die Pharmaindustrie 12 bis 15 Jahre, die Kosten: bis zu einer Milliarde Euro. „Die Kosten müssen runter, es muss schneller gehen“, sagte Hoerr. Der Weg der Zukunft sei die maßgeschneiderte Medizin. Das Medikament an sich sei dabei nur das mRNA-Molekül. Dieses sorgt dafür, dass der Körper Eiweiße herstellt, mit denen er Krankheiten bekämpft. mRNA entsteht durch Umschreiben der DNA; es trägt zielgerichtete Anweisungen zur Herstellung eines Eiweißes aus einem Gen. Hoerr sieht seine Entwicklung nicht nur als geeignet an, um Krankheiten zu heilen. Auch das Altern könnte verändert werden, der Mensch könnte gesund altern. Zukunftsszenario könnte etwa sein, dass ein Internet-Handelsriese Diagnose- und Therapiepakete anbiete – zum Monatsabo. Produkte der CureVac sind noch nicht auf dem Markt, sagte Hoerr. Eine Studie zum Prostata-Karzinom sei nicht geglückt, eine Tollwut- Studie dagegen habe „extrem gute Ergebnisse“ gezeigt.
Verrückter als die anderen
„Es wird nie ohne klinische Studien gehen“, sagte Matthias Schwab, der sich mit Hoerr ein kurzes, amüsantes Wortgefecht lieferte – visionäre Vorstellungen nach US-Vorbild gegen etablierte Schulmedizin mit ethischen Bedenken. Hoerr hatte als Beispiel angeführt, dass es vor 100 Jahren keinen Bluthochdruck gegeben habe. Der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt habe bereits in den 1930ern Bluthochdruck gehabt, entgegnete Schwab, „Sie können doch nicht sagen, dass es keinen Bluthochdruck gegeben hat“. Dennoch: Er sei überzeugt davon, dass man bei gewissen Krankheiten enorm von Hoerrs Ideen profitieren könne, es sei „sicher der Durchbruch“, sagte Schwab, etwa in der Onkologie, bei der Gewinnung von Impfstoffen, bei Autoimmunerkrankungen. Aber: „Es wird nie ohne die chemischen Substanzen gehen.“ Jede Therapie könne Nebenwirkungen haben, sagte Schwab. Auch Zulassungsverfahren, die in Deutschland oft sehr lange dauern können, seien berechtigt: „Die Behörden müssen gewisse Regulationsmechanismen vorhalten“, allein so könne kontrolliert werden, wer sich nicht korrekt verhalte. „Es muss immer zum Nutzen für den Patienten sein.“ Hoerr freute sich über den Gegenwind: „Das ist disruptiv.“ Also genau in seinem Sinn, im Sinn des Fortschritts, im Sinn der Innovation. Was an CureVac denn besser sei als an der Pharma industrie, wurde Hoerr gefragt: „Wir sind verrückter.“
SWP, 29.11.2019-Julia-Maria Bammes Vision von medizinischer Revolution