Revolution auf dem Dach
Bericht vom 19.05.2023, Ehinger Tagblatt
Datenübertragung Eine Antenne auf dem Ehinger Business-Park hilft, den Standort eines Autos oder die Feuchte im Boden zu erfahren. Kostenlos, für alle.
Von Martin Tröster
Der weiße Kasten auf dem Dach misst kaum mehr als 30 Zentimeter. Doch er steht für eine Revolution, die seit Jahren das Alltagsleben wandelt – oft unbemerkt, aber beständig und grundlegend. Das Gerät, das 20 Meter über dem Boden, auf dem Flachdach des Ehinger Business-Parks installiert ist, ist eine Empfangsstation. Eine Rundstrahl-Antenne, die mehrere Kilometer aus allen Richtungen empfängt. Sie nutzt das sogenannte „Long Range Wide Area Network“ (Lora)-Übertragungsverfahren, also ein Netzwerk, mit dem über Kilometer hinweg Daten übertragen werden können. Die Antenne ist vergleichbar mit einem WLan-Router, der auf dem Dachboden hängt und das Haus mit kabellosem Internetzugang versorgt. Nur reicht dieses Lora-Netzwerk locker bis nach Biberach. Anders als in einem WLan braucht man sehr wenig Strom, damit man es nutzen kann.
„Die Batterie kann sieben Jahre lang halten“, sagt Florian Schraepler, Prokurist der Business-Park-GmbH, über den kleinen Sensor in seinen Händen. Es ist ein Temperaturmessgerät, das über das Lora-Netz mitteilt, wie warm oder kalt es in dem Verbindungssteg zwischen zwei Gebäuden des Businessparks ist.
„Bevor wir den Sensor im Steg eingebaut haben, musste der Hausmeister zum Verbindungssteg laufen und nach der Temperatur gucken.“ Und gegebenenfalls die Heizung anmachen. „Jetzt spart er sich die 20 Minuten im Winter“, sagt Schraepler. Jetzt reicht ein Blick aufs Handy.
Wenig Strom verbraucht
Das Lora-Netzwerk auf dem Glasfassaden-Gebäude in der Ehinger Talstraße, der ehemaligen Schlecker-Zentrale, ist öffentlich. Jeder kann es wie eine Art freies WLan nutzen. So können Privatleute im Garten Sensoren in der Erde anbringen, und sehen, wie feucht der Boden ist, ohne zum Garten laufen zu müssen. Ein Blick aufs Handy reicht und sie wissen, ob sie gießen müssen.
Vereinfacht gesagt, lässt sich das Netzwerk fast überall nutzen, wo man irgendwie Sensoren im Boden, an der Wand oder in einer Maschine anbringen kann. Olivier Kress vom Digitalisierungszentrum Ulm-Alb-Donau-Biberach-Neu-Ulm sagt: „Man kann das Netzwerk zum Beispiel nutzen, um sich im Garten nicht nur die Bodenfeuchte, sondern auch den Düngergehalt anzeigen zu lassen.“ Auch könne ein Sensor an einer Brücke den Abstand zum Wasser messen und die Daten auf einen Laptop oder ein Handy senden – so sieht der Empfänger, wie hoch das Wasser steht, ohne auch nur in die Nähe des Flusses zu kommen. „Auch das Messen von Füllständen in Futtersilos war schon ein Anwendungsfall“, sagt Kress, der mit dem Digitalisierungszentrum bereits mehrere dieser Lora-Netzwerke in der Region installiert hat.
Geräte, die am Lora-Netz angeschlossen sind, reichen nicht nur weiter und brauchen nicht nur weniger Strom als ein WLan-Netz in der Privatwohnung, sie dringen auch durch dicke Wände, wenn zum Beispiel die Feuchtigkeit in einem Keller gemessen werden soll. Der Grund ist: Das Signal besteht aus längeren Wellen, WLan besteht aus kürzeren Wellen. Die Lora-Datenrate beträgt nur 50 Kilobit pro Sekunde, ist also in etwa so stark wie die Modems der Nuller-Jahre.
Digitalisiserungsexperte Kress sagt: „Die Strahlen sind nicht gefährlich. Es handelt sich um eine vielgenutzte Frequenz von 868 Megahertz.“ Auf dieser Frequenz arbeiten auch Alarmanlagen. Die Daten sind „Ende-zu-Ende-verschlüsselt“, sagt Kress. Also zum Beispiel von Sensor zu Handy. Kein Dritter könne die Daten einsehen.
Kress und Schraepler sehen das öffentliche Lora-Netzwerk als Chance zum Experimentieren. „Es ist ein erster Schritt in Richtung ,Internet der Dinge‘, weil es eine Spielwiese für erste Versuche bietet“, sagt Kress. Er ist beim Digitalisierungszentrum in Ulm zuständig für diesen Spezialbereich. „Internet der Dinge“ ist nichts anderes, als die Vernetzung und Steuerung von Geräten mithilfe von Sensoren. Das sogenannte „Smart Home“, also das „Kluge Haus“, ist so ein Anwendungsfall: Wenn zum Beispiel Gewitterwolken aufziehen, kann auch aus der Ferne ein Blick aufs Handy verraten, ob auch alle Fenster geschlossen sind.
Auch für Firmen interessant
„Das Lora-Netz ist auch für Firmen eine kostengünstige Möglichkeit, um Anwendungsfälle zu testen, bevor größere Investitionen getätigt werden“, sagt Kress. „Firmen können zum Beispiel erstmal einen Temperatursensor in einer Maschine anbringen und sehen, ob es einen Mehrwert bringt.“ Oder einen GPS-Sensor, um zu wissen, wo das Ding steht. Laut Kress gibt es bereits in Ehingen Firmen, die die Technik nutzen. Die Lora-Antenne auf dem Dach des Ehinger Business-Parks kostete etwa 900 Euro.
Wo es die Lora-Technik in der Region schon gibt
Foto: Olivier Kress vom Digitalisierungszentrum (links) und Business-Park-Prokurist Florian Schraepler zeigen auf dem Gebäude des Business-Parks in Ehingen den Sender der neuen Lora-Technologie. Von Martin Tröster.