Dieser Unternehmensgründer spricht in Ehingen über seinen Milliardenerfolg

Ingmar Hoerr, Star am Gründerhimmel, erfolgreicher Wissenschaftler und Unternehmer im Bereich spezifischer Impfstoffe und Therapeutika, Aufsichtsratsvorsitzender der CureVac AG, spricht beim sechsten Ehinger Wirtschaftsforum am 28. November im BED BusinessPark Ehingen Donau. SZ-Redakteur Tobias Götz und Businesspark-Geschäftsführer Professor Michael Gaßner haben im Vorfeld Fragen gestellt.

Herr Hoerr, herzlichen Glückwunsch zur Berufung in den Beirat des europäischen Innovationsrats durch die Europäische Kommission. Weltweit soll es weniger als 250 Einhörner geben, so nennt die Finanzbranche Start-ups, die in vergleichsweise kurzer Zeit einen Unternehmenswert von über einer Milliarde erreichten. Sie sind eines der wenigen europäischen Einhörner aus dem Wissenschaftsbereich. Was macht Sie wirtschaftlich so einzigartig erfolgreich?

Wir haben eine völlig neue Technologie, also eine disruptive Innovation, von der Laborbank bis zur klinischen Machbarkeit geführt. Dabei haben wir als kleines Unternehmen alle Pharmaprozesse abbilden müssen und mussten mit einer für Gründer recht ungewöhnlichen hohen Komplexität umgehen. Das war ein riesiger Berg, den wir abgearbeitet haben. Ohne einen so verlässlichen Investor wie SAP Gründer Dietmar Hopp hätte das nicht funktioniert. Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend und könnten zukünftig zum Beispiel völlig ungeahnte Therapiemöglichkeiten für Krebs oder hochwirksame Impfstoffe für Infektionskrankheiten darstellen. Diese Innovationsleistung spiegelt sich natürlich auch im Wert der Firma wider.

Wissenschaftliche Forschung in Startup-Unternehmen höchst erfolgreich umzusetzen, ist in Deutschland eher die Ausnahme. Was können wir in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tun, dass mehr Forscher den Mut dazu haben, diesen Schritt erfolgreich zu gehen? Was ist Ihre Empfehlung an die nächste Generation von Forschern?

Das ist ein vielschichtiges Thema, das wir in der Europäischen Kommission intensiv diskutieren. Es fängt schon bei der Bildung an, möglichst breit zu gehen und Interesse für Technologie zu entwickeln. Selbstvertrauen und positives Denken ist absolut notwendig. Das bekommt man durch Anerkennung und Rückhalt. Man kann kaum noch die eigene Mission, den unbändigen Drang, seine Innovationen umzusetzen vom Privatleben trennen. Als Gründer „brennt“ man für die eigene Sache, das unterscheidet Gründer von klassischen Arbeitnehmern. Hat man einmal dieses Gefühl der eigenen Freiheit gehabt, kann man regelrecht süchtig werden. Dahin müssen wir die potenziellen Gründer bringen.

Wie können wir in Deutschland und Europa mehr und schneller Innovation bewirken? Gerade in Baden-Württemberg war man Jahrzehnte stolz auf den Transfer von Wissenschaft und Forschung in Richtung Industrie – es scheint, man sei im internationalen Vergleich zurückgefallen. Wie sehen Sie das? Was empfehlen Sie?

Auch dieses Thema ist vielschichtig. Im Prinzip haben wir in Deutschland und besonders in BW unangefochten technologische Spitzenforschung. Das ist schon einmal eine gute Ausgangslage. Aber leider scheitert vieles an den fehlenden finanziellen Ressourcen, wir haben viel zu wenig Beteiligungskapital für hochtechnologische Innovationen. Gerade die forschungsintensive Biomedizin hat darunter die letzten 20 Jahre sehr gelitten. Deutschland hat viel zu sehr auf Grundlagenforschung gesetzt und war stolz auf hochrangige Publikationen. Auch eine Patentoffensive wurde angegangen, viele Universitäten haben Transferstellen, die Patentanmeldungen fördern und betreuen. Allerdings bleiben die Innovationen im Rohzustand einfach liegen oder werden an Chinesen und Amerikaner auslizenziert, wie zum Beispiel im Fall von mp3-Medienformat. Es kommt keiner auf die Idee, dass wir in Deutschland diese Dinge ebenfalls auf den Markt hin entwickeln könnten. Das muss sich ändern, und es gibt erste Anzeichen, dass die Politik dies erkennt, so halte ich die Einrichtung der Agentur für Sprunginnovationen, die sich gerade mit dieser Problematik beschäftigen soll, als erstes positives Signal.

Die Hochschulreform des vergangenen Jahrzehnts steht in der Kritik, dass die Studiengänge immer mehr verschult werden und Raum für Freiheit und Innovation fehlt. Wie sehen Sie das?

Das sehe ich sehr kritisch, durch den Wegfall der Wehrpflicht geht man sehr jung in das Studium. Man muss sich sehr früh spezialisieren. Das ist äußerst ungut, man hat überhaupt keine Chance, seinen eigenen Stärkebereich und Schwächebereich kennenzulernen und auszutesten, weil man auf einer schnellen Autobahn immer auf der Überholspur fahren muss. Man muss den Studierenden mehr Eigenverantwortung zutrauen. Für mich war das essenziell, dass ich in den neunziger Jahren große Freiheiten hatte, mir selbst mein Studium zu gestalten, auch über den Tellerrand zu schauen, mir eigene Auslandsaufenthalte zu organisieren und am Schluss genau zu wissen, was ich eigentlich will. Wir merken das in der Firma auch an vielen Bewerbern, dass viele sehr eingleisig getaktet sind, häufig fehlt die Fähigkeit zum interdisziplinären Denken. Eine Sache, die essenziell für Kreativität und Innovation ist. Genau diese Leute brauchen wir in Deutschland.

Die weitere Entwicklung von mRNA- basierten Therapeutika braucht Zeit. Dauert es länger, als Sie dachten? Was sind Ihre unternehmerischen Ziele für die CureVac AG für die nächsten fünf Jahre?

Klar dauert es länger, die Komplexität von biomedizinischen Innovationen ist hoch. Krebsmedikamente, die wir heute auf dem Markt haben, wurden Anfang der Neunzigerjahre entwickelt. Es kommt darauf an, mehr Mitstreiter zu gewinnen, wir müssen eine wissenschaftliche Gemeinschaft aufbauen. Wir versuchen das durch eine jährliche wissenschaftliche Konferenz, organisiert gemeinsam mit unseren Wettbewerbern. Weiterhin braucht das Feld klinische Daten aus der Anwendung am Menschen, diese Entwicklungsphase ist absolut wichtig, um ein maßgeschneidertes Produkt entwickeln zu können. Aber schön ist für mich zu sehen, dass nun in vielen klinischen Studien von einigen Unternehmen, so auch von uns, Wirksamkeitsdaten gezeigt werden. Umso mehr, wenn ich daran denke, wie weit weg wir am Beginn der Entwicklung von klinischen Daten waren.

Wenn es vor der Anwendung am Patienten eine Genanalyse des Patienten bedarf, ist dies vom Gesundheitssystem beziehungsweise vom Patienten finanziell noch leistbar? Ist Ihre Technologie Kostentreiber oder massentauglich?

Es ist immer so, dass bei neuen Technologien die Kosten dramatisch fallen, sowie sie Einzug in den Massenmarkt finden. Das passiert auch bei der Genanalyse, in den letzten paar Jahren haben sich die Kosten zum Beispiel schon tausendfach reduziert. Kosten machen mir weniger Sorgen, vor allem, wenn man die Wirksamkeit der Medikamente durch deren maßgeschneiderten Einsatz wesentlich erhöhen kann. Einer der wesentlichen Kostentreiber im Gesundheitssystem sind falsch verschriebene Medikamente, die unwirksam oder sogar schädlich sind. Dies würde zunehmend wegfallen. Was unsere Technologie betrifft, so ist sie jetzt schon sehr kostengünstig in der Herstellung, und sie wird im Massenmarkt noch wesentlich günstiger.

Sie sagte einmal in der Presse, Apotheken könnten irgendwann überflüssig werden. Ist individualisierte Medikation nicht immer aufwendiger, als standardisierte Medikamentengabe?

Wie ich schon sagte, man kann zielgenauer behandeln, reduziert Nebenwirkungen und könnte zum Beispiel chronische Erkrankungen heilen, so dass keine kontinuierliche Medikamenteneinnahme mehr notwendig sein werden würde. Das ist noch Zukunftsmusik, aber alles spricht dafür, dass die Entwicklung genau in diese Richtung geht.

Für patientenindividuelle Therapie im Krankenhaus bieten Sie den RNA Printer an. Was ist regulatorisch zu tun, dass Krankenhausapotheken solche Printer einsetzen können?

Zunächst einmal muss die Wirksamkeit in großen klinischen Versuchen demonstriert werden. Es ist sicherlich ein Umdenken bei vielen Behörden, Kostenträgern, Ärzten etc. erforderlich, wie man mit Individualtherapie umgeht. Es gibt ja derzeit auch andere individualtherapeutische Ansätze, deswegen steht das Thema auf der Tagesordnung und die Fachwelt setzt sich damit derzeit auseinander. Ich bin mir sicher, dass bei erwiesener Wirksamkeit sich regulatorisch, finanziell und politisch Mittel und Wege finden werden, Patienten durch diese neuen Therapien zu helfen.

Wenn der Körper die verkapselte mRNA als Fremdkörper erkennt und mit der entsprechenden Immunreaktion antwortet, wie verhindern Sie ein Überschießen des Immunsystems – dies ist wohl bei bereits zugelassenen Gentherapien (CAR-T-Zell Therapie) immer wieder ein Problem?

Damit setzen sich alle Unternehmen auseinander, einerseits möchte man eine Immunantwort (Krebstherapie und Impfstoffe), andererseits möchte man diese vermeiden, wie zum Beispiel bei Enzymersatztherapie. Es gibt technologisch einige Möglichkeiten, mit der Wirkung von mRNA umzugehen.

Ist bereits bekannt welche deutschen Klinken sich an den Phase III Studien beteiligen werden? Wie ist das Interesse daran?

Das Interesse ist sehr hoch, primär hat jede Klinik einen großen Druck, sonst unheilbaren Patienten zu helfen und auch experimentelle Therapien anzubieten. Es gibt Felder, in denen sehr viele Wirkstoffe getestet werden, da könnte es eng werden, aber wir haben bislang gute Erfahrungen gemacht, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.

 

INFO: Anmeldungen zum 6. Ehinger Wirtschaftsforum am Donnerstag 28. November, 19 Uhr, im BED BusinessPark Ehingen Donau, Talstraße 21, 89584 Ehingen, auf der Homepage des BusinessParks unter www.businesspark-ehingen.de/wirtschaftsforum.
(Quelle: SZ, 16.11.2019, Tobias Götz)